1848

TRAUM-A- LAND E.V.
- Verein zur Entwicklung Alternativer Lebensformen
 in der Provinz Franken –

 

BAUERNKRIEGS-LANDSCHAFT TAUBER-FRANKEN

SPURENSICHERUNGSPROJEKTE UND VERÖFFENTLICHUNGEN

 

1848/1849 in Tauber-Franken

 

Die Revolution von 1848/49 und die Provinz

- Revolutions- und Demokratiebewegung im ländlichen Raum

Zur Revolution "1848/49" ist eine wahre Flut von neuen Publikationen veröffentlicht worden, gab es in den großen Tageszeitungen reichlich Raum zu Rezensionen und für längere Aufsätze, es wurden vielerorts Ausstellungen eröffnet und es wurde gar der Hecker'sche Revolutionszug neu inszeniert. Der Blick richtete sich differenzierter als früher auf den Begriff der Revolution. Klar ist heute, daß es sich um unterschiedliche Revolutionen handelte, daß die Revolution von 1848/49 nicht mehr als eine rein bürgerliche darzustellen ist. Vielmehr treten unterschiedliche Interessen an einer Revolution hervor, schälen sich verschiedene Subjekte der jeweiligen Revolutionen heraus, verdeutlichen sich die Lage der beteiligten Unterschichten, von deklassierten Handwerkern, des städtischen Proletariats, aber auch die damalige Situation der Frauen. Die Revolutionen von 1848/49 sind ohne das Land, die Provinz, nicht denkbar. Das Land war in diesen Zeiten revolutionär - in vielen, wenn auch nicht in allen Regionen.

Die neuere Forschung folgt nicht mehr dem alten Begriff einer reinen Agrarrevolte, die nur sehr kurzfristigen Bestand gehabt hätte. Die Revolution der Bauern und anderer Landleute verbürgerlichte und demokratisierte sich zunehmend nach allerdings stürmischen, vielfach stürmerischen und tumultartigen Beginnen und Ausschreitungen. Dennoch werden den tumultartigen Anfängen der Revolution 1848/49 auf dem Lande die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Die antijüdischen Ausschreitungen in Unterschüpf fanden so z.B. auf den Feuilletonseiten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der „Frankfurter Rundschau“, „Der Zeit“ einen Widerhall. Anhand der Revolution im fränkischen Raum von Baden, der Region um Boxberg (bekannt durch die Auseinandersetzung um eine geplante Teststrecke der Daimler-Benz AG) soll der Verlauf nachgezeichnet werden.

Wie stellte sich - äußerst kurz gefaßt - die allgemeine, die wirtschaftliche und soziale Lage des Boxberger Raumes dar? Dieser Teil des Frankenlands war Dank oder Undank Napoleons zum Hinterland des Großherzogtums Baden geworden. Vorbei war es damit der Jahrhunderte langen Zugehörigkeit zur Kurpfalz, zu Kurmainz , zum Hochstift Würzburg usw.. Dafür war nun das hierher verpflanzte Fürstenhaus Leiningen die Standesherrschaft mit Sitz in Amorbach und Ämtern in Mosbach, Buchen, Boxberg, Tauberbischofsheim. Diesem neuen Standesherren waren zahlreiche Abgaben zu leisten, die Regionen ohne Standesherren nicht oblagen.

Seit der Mediatisierung waren alte territoriale Verbindungen oder traditionelle Marktbeziehungen unterbrochen. Mit dem Weinanbau im Tauberfränkischen und dem damit verbundenen Reichtum ging es rapide abwärts. Es schien sich überall Lethargie breitzumachen. Vom dynamisch-industrialisierten Kapitalismus, der neue Arbeitsplätze schaffen würde, war in Badisch-Sibirien nichts zu spüren. Die wichtigste Errungenschaft der damaligen Moderne, die Eisenbahn, fuhr entlang des Rheines, aber das Land war noch nicht mit eisernen Schienen bebändert. Der tauberfränkische Raum, das Bauland, der Odenwald galt von nun an - von Karlsruhe ausgesehen - als tiefste Provinz. Die Agrarwirtschaft und damit zusammenhängendes Handwerk stellte noch den dominanten ökonomischen Sektor dar, der sich zudem in den Jahren vor 1848 in einer schweren Krise befand. Drastische Ernteausfälle verschärften in diesen vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Situation. Soweit dieser kurze Anriß der allgemeineren Lage.

Vielfach wird bzw. wurde behauptet, daß die Bauern seit dem Bauernkrieg von 1525 als politischer Machtfaktor ausgeschieden wären und sie erst wieder in der "Agrarrevolte" vom März 1848 es gewagt hätten, ihr Haupt zu erheben und Widerstand zu leisten. An dieser These ist einiges zu korregieren: Der Bauernkrieg von 1525 war kein Bauernkrieg, er begann vielfach, wie zum Beispiel in der Rothenburger Landwehr oder mit der Versammlung in Unterschüpf als bäuerliche Erhebung. Schnell aber erweiterte sich die Rebellion zu einer bäuerlich-bürgerlichen Revolution: Von den Dörfern sprang der Funke in den jeweiligen Amtsbezirk, von dort in die Amtsstädte, in die "Landschaft", zog dann große Städte wie Würzburg und Rothenburg mit ein. Fast parallel dazu verlief die Entwicklung 1848 von den Dörfern aus in die größeren Amtsstädte. Auch blieben die Bauern seit 1525 aktiv, zum Teil mit kleineren, regional begrenzten Rebellionen, zum größeren Teil mit Eingaben an die jeweiligen Landstände, mit vielerlei Prozessen gegen die Herrschaften. Der plakative Titel der Buchener Ausstellung zu 1848/49 "Heute ist Freiheit - Bauernkrieg im Odenwald 1848" verniedlicht die bäuerlich-bürgerliche Revolution von 1848 in dieser Region zu einer bloßen "Agrarrevolte". Dagegen hat Helmut Neumaier in einem nahezu minutiösem und mikroskopisch feinem Nachvollzug der Ereignisse von 1848 im Boxberger Raum nachgewiesen, daß "die Bezeichnung Revolte oder Agrarrevolution tatsächlich fragwürdig" ist. "Was sich seit den Märztagen 1848 in den Amtsbezirken Buchen, Adelsheim, Krautheim und Boxberg abspielte, ist Teil der Revolution und keine Sonderentwicklung. Auf dieser Erkenntnis beruht die überörtliche Bedeutung der Boxberger Geschehnisse." Von dieser Darstellung aus besteht ein wichtiger Einspruch gegen die vielfach auch in diesem Jubiläums-Jahr aufgetretene These, die Bauern wären, nach dem die Märzregierungen ihre Forderungen erfüllt hätten, aus dem politischen Kampf ausgeschieden, hätten sich wieder ihrer Feldarbeit gewidmet, statt sich dem demokratisch-republikanischen Lager anzuschließen. Die Boxberger "Agrarrevolte" mündete vielmehr ein in den demokratischen Widerstand. Die Boxberger Bauern und Bürger erlernten und praktizierten die Demokratie, sie gründeten Volksvereine, hielten Volksversammlungen ab, und dies immer auch mit zahlreicher Beteiligung der Bauern, wenn auch unter einer bürgerlichen Führung. Und die Boxberger Bauern und Bürger waren im Sommer 1849 bereit, auch gewaltsam für die Republik zu kämpfen.

Die Revolte, die Revolution von 1848, kam nicht aus heiterem Himmel. 1831 hatte der Abgeordnete von Rotteck einen Gesetzesentwurf zur Aufhebung des Zehnten vorgelegt. Im Taubertal, wohl auch im Boxberger Raum, fand diese Forderung Anklang. In der Zeit vom April bis Juni 1832 ist es z.B. in Tauberbischofsheim zu tumultartigen Szenen gekommen. Auch 1847 sind Tumulte und Drohungen u.a. gegenüber dem Wucher der Juden zu vermelden. Damit ist klar, daß die Landbevölkerung im badisch-fränkischen Raum politisch darüber informiert war, was in den Kammern des badischen Landtages diskutiert wurde und reagierte darauf. Die Revolte von 1848 speist sich also aus den politischen Grundströmungen der damaligen Zeit. Die Bauern, die Landleute, waren wenigstens zum Teil fast gleichzeitig zum Bürgertum, waren also nicht ganz so rückständig, lethargisch, wie vielfach vermutet wurde.

Den stetig ansteigenden revolutionären Gärungsprozeß zeigen die unmittelbaren Jahre vor 1848. Infolge der Ablösung des Zehnten, die nicht entschädigungsfrei war, sondern von Bauern und Gemeinden hohe Entschädigungssummen - nämlich das Zwanzigfache des durchschnittlichen Jahresertrages - an die Herren abverlangte, kam es zu Dauerkonflikten zwischen Gemeinden mit ihren Bauern und Bürgern und dem jeweiligen Grundherren. Zudem versuchten die Rentbeamten die dem Grundherren zustehenden Gefälle / Zehnten, mit aller Härte einzutreiben, führten Prozesse gegen Gemeinde und Bauern, übten vielerlei Arten der Schikanen aus. Die Rentbeamten waren so zu den Zielscheiben des bäuerlichen Protestes geworden. Die Lunte zum Pulverfaß war längst gelegt, es fehlte nur noch der revolutionäre Funkenschlag. Um sich endlich von den alten Lasten zu befreien, wurden vielfach Kredite aufgenommen, bei "Kapitalisten", bei jüdischen Personen. Ein Sparkassenwesen gab es auf dem Lande nicht. Oft geriet man dadurch vom Regen in die Traufe. Die Grundlast konnte abgelöst werden, man schuldete zwar nichts mehr der Grundherrschaft, dafür hatte man jetzt neue Gläubiger, die Zinsen für ihre Darlehen verlangten. Schnell war vom Wucher die Rede, vielfach von einem besonderen jüdischen Wucher. Dabei entsprach die jüdische Art der Geldverleihe mehr oder weniger nur den neuen kapitalistischen Formen: Sie versuchten, das Maximale herauszuholen.

Die Bewohner des Seehofes hatten sich beispielsweise in der Kreditaufnahme und deren Zinsenbedienung soweit verheddert, daß der Seehof zwangsversteigert wurde. Letztendlich kam er 1847 in den Besitz von Leiningen. Statt einer Ablösung der Grundlasten verloren die Seehofbauern ihren Grund und ihre Güter ausgerechnet an den Grund- und Standesherren (1978 verkaufte der Leininger Fürst bereitwillig den Seehof, im Bestreben die Daimler-Benz AG als neuen Grundherren im Boxberger Raum zu etablieren). Die Aufbringung der Ablösungskapitalien führte also vielfach zu einer enormen Verschuldung, zu einer Verarmung der Bauern, der Landbevölkerung. In einem Bericht des Boxberger Amtsrevisionsrates von 1847 heißt es: "Die Bürger unseres Bezirks müssen mit Ausnahme der wenigen Wohlhabenderen fast alle Mittel, die sie aufzubringen vermögen, zur Deckung der Staats-, standes- und grundherrlichen Abgaben verwenden, ja sie könnten diese Abgaben nicht einmal bestreiten, wenn sie nicht aufs kümmerlichste und erbärmlichste lebten ..."

Für die ländliche Bevölkerung stellten die geldverleihenden Kapitalisten die Begünstigten der Zehntablösung dar. Insofern richtete sich der 1848er Protest nicht nur gegen die Standes- und Grundherrschaft mit der Erstürmung ihrer Rentämter, mit der Verbrennung und Vernichtung von Akten, mit der Bedrohung der Rentbeamten, mit den Versuchen, auch deren Wohnungen zu zerstören, mit der Rückholung von Zehntfrüchten, mit dem Schlagen von Holz im Forst des Grundherren. Der Protest richtete sich auch deshalb gegen jüdische, aber auch nichtjüdische Kapitalisten, deren Wohnungen demoliert wurden, denen Schuldscheine abgenommen wurde, deren Leben bedroht wurde. Und der Protest richtete sich - wenn auch in geringerem Maße - gegen christliche Pfarrherren, die noch alte Rechte besaßen.

Die gemeinsame Klammer der Proteste gegen die Standesherrschaft, gegen jüdische und nichtjüdische Geldverleiher, gegen christliche Pfarrherren dürften die gravierenden wirtschaftlichen Probleme der bäuerlichen Schichten, der Bevölkerung, gewesen sein. Die Bevölkerung empörte sich in den Märztagen 1848 gegen das Feudalsystem. Für die Bevölkerung gehörten dazu auch die Geldverleiher und Händler, die daraus Profit zogen. Um eine besonders ausgeprägte antisemitische Einstellung, gar um einen "eliminatorischen Antisemitismus", kann es sich bei den bäuerlichen Protesten nicht gehandelt haben. Die Wut der Bauern im Boxberger Raum galt den Rentbeamten genauso wie jüdischen Personen. Dennoch soll nicht in Frage gestellt werden, daß religiöse Gründe eine Rolle gespielt haben könnten. Vielleicht erklären diese die Brutalität der Unterschüpfer Ausschreitungen gegen die dortigen jüdischen Familien.

Wenden wir uns nun den Geschehnissen ab dem März 1848 in der Boxberger Region zu. Die Boxberger Geschehnisse sind mit denen anderer in Deutschland, ja in vielen Teilen Europas vergleichbar. 1848 war ja schließlich ein europäisches Ereignis. Die Boxberger Revolution begann in den Wirtshäusern und hatte dort ihre entschiedendsten Stützpunkte: in der Schweigerner Krone, in der dortigen Sonne, in Boxberg beispielsweise mit den Gasthäusern Adler und Hirsch. Am 5. März wurde im Gasthaus Krone zu Schweigern Ratschlag gehalten, wie man der Standesherrschaft beikommen könnte und es wurden dort Botschaften an die umliegenden Dörfer des Amtsbereiches aufgesetzt. Die Revolution ging von den Dörfern aus, diese schlossen sich zusammen und setzten in der jeweiligen Amtsstadt zum Sturm an.

Am 7. März, dem Fastnachtsdienstag, waren die Boxberger Gasthäuser mit Bauern aus verschiedenen Ortschaften vollbesetzt. In Schweigern formierte sich vor dem Gasthaus "Sonne" ein mächtiger Bauernhaufen von ca. 600 - 800 Mann. Sie sollen mit hellen Hemden gekleidet gewesen sein. Daraus wird vielfach eine Erinnerung an den "Hellen Haufen" im Bauernkrieg von 1525 abgeleitet. Zur Zeit des Bauernkrieges bezeichnete der Begriff "Heller Haufen" allerdings eine militärische Einheit, und zwar die jeweilige Hauptstreitmacht. Die Vorhut wurde als "Verlorener Haufen" benannt. Der Führer des Odenwald-Neckartaler Haufens, Georg Metzler, unterschrieb seine Briefe und Befehle im Namen des Hellen Haufens allerdings genauso wie beispielsweise Jakob Köhl für den sogenannten "Schwarzen Haufen", also dem Fränkischen Heer der Main- und Taubertaler. Eine oft vermutete Beziehung zu einer hellen oder weißen Kleidung ist daher nicht anzunehmen. Allerdings geisterte die Ableitung des Begriffes „Heller Haufen“ von einer hellen Bekleidung der Bauern durch die damals publizierte Bauernkriegsliteratur und verbreitete sich so auch unter die Bauern und Bürger und führte sie zu einem produktiven Mißverständnis des historisch roten Fadens zum Aufstand ihrer Vorfahren.

Gegen 19 Uhr 30, also in der Dunkelheit, traf der Haufen in Boxberg ein, nun um ein Vielfaches verstärkt mit den Bauern aus Wölchingen, Bobstadt usw. Trommelwirbel erschall, Fackeln waren angezündet worden, Drohungen wurden ausgerufen. Der fast volksfestähnliche Charakter dieses Zuges, der Schutz der Dunkelheit, das sind die Formen des bäuerlichen bzw. unterbäuerlichen Protestes in ganz Europa, das ist die Politik der Straße, die Kultur der Straßenöffentlichkeit. Randale und Gewaltbereitschaft sind weitere deutliche Kennzeichen. Die Versuche des badischen Amtsvorstandes Kirchgeßners, ein Aufgebot von Bürgern aufzustellen, schlugen fehl. Viele Boxberger traten auf die Seite der "Randalisten", wie sie von Kirchgeßner benannt wurden. Die sogenannten "besseren" Bürger Boxbergs gingen sicherlich nicht mit der nun folgenden Gewaltanwendung gegen das leiningische Rentamt konform, schritten aber dennoch nicht ein. Beispielsweise distanzierte sich Pfarrer Zimmermann, ein Kopf der Boxberger Revolution, bei der Gründung eines Volksvereins im März 1849 von den Krawallen im Vorjahr. Unter Freiheitsrufen wurde das leiningische Rentamt sowie die Wohnung des Rentbeamten Hermann gestürmt. Die Akten wurden aus den Fenster geworfen, in fünf Wagen geladen, und vor den beiden Stadttoren verbrannt. Das Mobilar Hermanns wurde kurz und klein geschlagen, sein Privatvermögen mitgenommen, seine Weinvorräte ließ man auslaufen.

Die folgenden Tagen galten der Ausräumung des leiningischen Fruchtspeichers auf dem Gelände der Boxberger Burgruine durch die Bauern des Boxberger Amtsbezirkes. Ein weiterer leiningischer Beamte, der Aktuar Kurz, wurde in seinem Wölchinger Haus bedroht. In Angeltürn kam es zu Ausschreitungen gegen zwei Judenfamilien und gegen die dortigen Freiherren. In den Dörfern des Amtsbereiches wurden aus den Rathäusern die Unterlagen, die Auskunft über Ansprüche der Standesherrschaft gaben, ausgeräumt und dem Feuer übergeben. Nachdem die Bauern, die Bevölkerung in ihrer Region mit dem, was für sie zum Feudalsystem gehörte, abgerechnet hatten, sollte eine Gesamtaktion der leiningischen Untertanen gegen den Sitz der Standesherrschaft, der Domänenkanzlei in Amorbach geführt werden. Dazu konnte es nicht mehr kommen, da das badische Militär in unsere Region einrückte und mit Gewaltanwendung drohte. Verhaftungen wurden durchgeführt. Von nun an galt der Widerstand der Bevölkerung im Boxberger Amtsbezirk und in anderen Bezirken auch der badischen Regierung. Als der badische Amtsvorstand Kirchgeßner am 7. April 1848 von Boxberg wegversetzt wurde, stellten Unbekannte vor dem Amtshaus die schwarz-rot-goldene "Freiheitsfahne" auf.

Hier zeigt sich die besondere Qualität der Boxberger Revolution: Sie war durchaus keine bloße Agrarrevolte. Sie ging über deren Ziele und über deren kurz befristeten Zeitraum des Märzens 1848 weit hinaus. "Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren der Aufstand der Landbevölkerung und die politische Revolutionsbewegung eine Verbindung eingegangen." (Helmut Neumaier) Die bäuerliche Bevölkerung Boxbergs erlernte von nun an bürgerliche Umgangsformen des Protestes, wenn auch weiterhin vereinzelt Drohbriefe an Juden, mit stark akzentuiertem religiösen Background, versandt wurden oder Dampf abgelassen wurde, indem mal ein leiningischer Holzstapel niedergebrannt wurde oder der Fruchtspeicher mal wieder demoliert wurde.

Auf die antijüdischen Ausschreitungen soll nun gesondert eingegangen werden. In der Nacht vom 7. auf den 8. März 1848, gegen 2 Uhr nachts, zogen die Aufständischen aus Boxberg ab und wandten sich Unterschüpf zu. Die dortigen Judenfamilien waren nun das Ziel eines großen Haufens. Der Zug nach Unterschüpf ist nicht spontan entstanden, sondern war vorher verabredet worden. Man wollte die Schüpfer Juden systematisch plündern und ausrauben. Die Aussage eines Metzgers macht klar, daß der Auftritt einer Gruppe von Maskierten am Nachmittag des 7. März Teil eines quasi zweifach angelegten Planes war: Man wollte den Unterschüpfer Juden einen richtigen Schreck versetzen, aber sie nach dem Abzug der maskierten Gruppe glauben lassen, dieses wäre alles gewesen, was man ihnen antuen wolle. Am Abend, im Schutze der Dunkelheit, sollte die große Masse dann die jüdischen Familien überfallen und ausrauben. Die Aussage des Metzgers soll im Wortlaut aufgeführt werden: "So habe ich es nicht haben wollen, daß die Soldaten ... aus Schweigern schon bey Tag des 7. Merz von den Juden Geld erpreßten und die Fenster einschlugen, denn dadurch haben sie ihr Geld und Papiere geflüchtet; ich hätte die Kerls todtschlagen können über ihre Dummheit; blos den Schüpfer Christen zeigen lassen, daß wir kommen und nichts berühren, dies war das Zeichen und wieder abziehen und sich [die] Juden sicher ... glauben und hernach überfallen."

Die wohl spontane und unter Einfluß von viel Alkohol durchgeführte Einzelaktion zweier Soldaten warnte die Unterschüpfer jüdischen Familien, daß ihnen Schlimmes bevorstand. Sie verließen eiligst Unterschüpf und versuchten ihre Häuser zu verbarrikadieren. Den Unterschüpfer Juden wurde auch mit dem Tod gedroht, die Maskierten vollzogen die Gebärden des Halsabschneidens und auch das Gedicht des Unterschüpfer Einwohners G. Dietrich vom 20. März benennt das Kopfabschneiden bzw. die Absicht, einen Kopf zu spalten. Inwieweit dies auch konkret durchgeführt worden wäre, ist unklar. Bei diesen brutalen Drohungen spielen aber sicher religiöse Gründe eine große Rolle, die sich ja auch in vielfachen Alltagsaggressionen gegen Juden widerspiegelten. Zudem ist zu bedenken: Es läßt sich auch kaum ein direkter Zusammenhang in der Unterschüpfer Ausschreitung herstellen zwischen Gläubigern und Schuldnern. Ein Unterschüpfer Viehhändler legte eine Liste der ihm abhanden gekommenen Schuldscheine vor. Von den zehn Angeklagten gehörte keiner zu seinen Schuldnern. Vielleicht ist dies Zufall, daß die Schuldner in der Masse möglicherweise anwesend, aber dennoch nicht genau benannt werden konnten. Vielleicht wurden die Juden auch synonym für ihre "Wuchertätigkeit" überfallen.

Die Boxberger Revolution von 1848 gleicht mit dem Sturm auf das Rentamt und den antijüdischen Krawallen anderen sogenannten Agrarrevolten. Sie überlebte aber den darauf beschränkten Zeitraum von März bis April 1848. Sie erweiterte sich zur Bereitschaft, gegen die herrschende Staatsform anzukämpfen bzw. sich ihr zu entziehen:

Die Boxberger verweigerten sich im Dezember 1848 massenhaft der Rekrutierung. Die Wahlmänner des Bezirkes Boxberg gaben den radikalen Demokraten Kapp bzw. Damm ihre Stimme. Bei der Gründung des Boxberger Volksvereins am 18. März waren unter den ca. 200 Anwesenden größtenteils Bauern und Tagelöhner. Bei einer Versammlung am 13. Mai 1849 in Unterschüpf antworteten die Versammelten auf die Frage, ob sie die Republik wollten, mit einem "lauten und jubelvollen Ja." Die Bereitschaft zum bewaffneten Kampf um die badische Republik war 1849 sehr groß.

Die Boxberger Region schien 1848/49 für die demokratische und die republikanische Sache weiter und bereiter zu sein als andere ländliche und städtische Regionen.

Literatur:

Helmut Neumaier: Geschichte der Stadt Boxberg. Mit Beiträgen über ihre Stadtteile. Hrsg: Stadt Boxberg, 1987.

Haus der Geschichte Baden-Württemberg: Heute ist Freiheit! Bauernkrieg im Odenwald 1848. Stuttgart 1998.

Klaus Ries: Bauern und ländliche Unterschichten. In: Christof Dipper / Ulrich Speck (Hrsg.): 1848. Revolution in Deutschland. Frankfurt a. M und Leipzig 1998.

Arno Herzig: Die Juden. In: Christof Dipper / Ulrich Speck (Hrsg.): 1848. Revolution in Deutschland. Frankfurt a. M und Leipzig 1998.

Christof Dipper: Revolutionäre Bewegungen auf dem Land: Deutschland, Frankreich, Italien. In: Dieter Dowe, Heinz-Gerhard Haupt und Dieter Langewiesche (Hrsg.): Europa 1848. Revolution und Reform. Bonn 1998.

Reinhard Rürup: Der Fortschritt und seine Grenzen. Die Revolution von 1848 und die europäischen Juden. In: Dieter Dowe, Heinz-Gerhard Haupt und Dieter Langewiesche (Hrsg.): Europa 1848. Revolution und Reform. Bonn 1998.

 

© Traum-a-land Copyright:

Alle unsere Webseiten können kostenfrei gelesen und ausgedruckt werden. Ausgedruckte Textteile können in der üblichen Form unter Angabe der Quelle frei zitiert werden. Alle erfolgten Ausdrucke unterliegen dem Schutz des Urheberrechtes. Ihre Vervielfältigung und Weiterbearbeitung bedarf der schriftlichen Zustimmung.