Requiem

REQUIEM

Film von Hans-Christian Schmidt über den katholischen Exorzismus in Klingenberg am Main und Leben und Sterben von Anneliese Michel.

 

Bernd Lange: Requiem. Drehbuch zum Film von Hans-Christian Schmidt. Frankfurt am Main 2006

Weitere wichtige Literatur zu diesem Thema:

Uwe Wolf: Das bricht dem Bischof das Kreuz. Die letzte Teufelsaustreibung in Deutschland 1975/76. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Reinbek bei Hamburg 1999

Ulrich Niemann / Johannes Mischo: Die Besessenheit der Anneliese Michel (Klingenberg) in interdisziplinärer Sicht. In: Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiet der Psychologie. Jahrgang 25, Nr. 3 / 4, 1983. Seite 129 – 194

Anneliese Michel: Die Aufarbeitung der Angst als religionspädagogische Aufgabe. Staatsexamensarbeit an der Bayerischen Julius-Maximilian-Universität Würzburg 1976 (Typoskript)

Kaspar Bullinger: Das Leben und Sterben der Anneliese Michel und die Aussagen der Dämonen. Altötting, 2. Auflage 1983 (1. Auflage 1981)

Kaspar Bullinger: Unschuldig verurteilt. Ein Laie sagt seine Meinung im Aschaffenburger ‚Exorzistenprozeß’. Altötting 1979

Felicitas D. Goodman: Anneliese Michel und ihre Dämonen. Der Fall Klingenberg in wissenschaftlicher Sicht. Stein am Rhein/Schweiz: Christiana-Verlag, 2. Auflage 1987

Lisl Gutwenger (Hg.): „Treibt Dämonen aus!“ Von Blumhardt bis Rodewyk. Vom Wirken katholischer und evangelischer Exorzisten. Stein am Rhein/Schweiz, Christiana-Verlag 1992

 

Im April 1976 drangen unglaubliche Informationen der Begleitumstände des Todes der Klingenberger Studentin Anneliese Michel in die Öffentlichkeit, nicht nur regionsweit, bundesweit, weltweit. Der beschauliche, noch weinbaulich geprägte Weinort am Main zwischen Aschaffenburg und Miltenberg gab den schauerlichen Raum zu einer nicht mehr für möglich gehaltenen Teufelsaustreibung, zu Aktivitäten von der katholischen Kirche beauftragten Exorzisten. Sämtliche Urteile und Vorurteile gegenüber der katholischen Kirche schienen sich auf einmal wieder zu bestätigen, hatte man sich doch selber auf robuste Art aus dem seit der eigenen Geburt aufgedrückten Milieu des traditionellen Katholizismus abnabeln müssen, bei jungen Priestern, Kaplänen, Religionslehrern erstmals die Lieder von Franz Josef Degenhardt schätzen, eine wesentlich liberalere, offenere Form des Katholizismus kennen gelernt. Der Tod von Anneliese Michel, die exorzistische Praxis machte einem selber klar, dass man aus der selben Region stammend, in der gleichen kleinstädtischen Lebenswelt aufgewachsen, die selbe religiöse Praktiken, die selbe konservativ traditionale katholische Aufzucht erfahren – vielmehr erlitten – hatte. Eine religiöse Weltauffassung, die streng und einfach dualistisch eingeteilt war: Zwischen Gott und Teufel. Lebenslange Busse war notwendig, Opferbereitschaft, stundenlange Gebetsrituale, stetiger Gottesdienstbesuch und überall lugten die teuflischen Versuchungen, einem vom richtigen Weg zu Gott abzubringen.

Schnell war damals das Urteil gefällt, über die Kirche und seinem Exorzistenteam, über das traditionale konservative katholische Umfeld. Anschaulich wurde einem ja im Film „Der Exorzist“ – damals gerade in den Kinos – der Einsatz der Teufelsaustreiber demonstriert. Der Film von Hans-Christian Schmid, Requiem, gibt guten Anlaß, nochmals dem Leben und Sterben von Anneliese Michel nachzuspüren, dieses extreme Fallbeispiel eines kleinstädtischen Lebens verstehen zu lernen. Der Film Requiem führt leider selber aus Klingenberg hinaus, wird aus dem mainfränkischen Raum entfernt, ins Schwäbische, nach Tübingen, entlehnt, bleibt aber immer noch eine Parabel für kleinstädtische Lebenswelt.

Den lesenswertesten Versuch der Deutung ist Uwe Wolf in seinem Buch „Das bricht dem Bischof das Kreuz“ 1999 gelungen, auf die grenzüberschreitende Studie von Ulrich Niemann und Johannes Mischo aufbauend, die einen interdisziplinäre Brückenschlag zwischen Psychologie, Parapsychologie und Religion schaffen. Ein Grund zum Leiden und Sterben von Anneliese Michel ist gewesen, dass Anneliese Michel immer fachspezifisch analysiert wurde, also rein medizinisch, rein neurologisch, rein psychologisch, rein religiös, rein exorzistisch, aber es niemand der Beteiligten und der Behandelnden gelang, eine umfassendere Sichtweise der Leiden Anneliese Michels zu entwickeln, die sämtliche Aspekte ernst genommen hätte. Die Ärzte verstehen das Religiöse nicht, akzeptieren nicht „das Dämonische“, die Exorzisten haben keine Ahnung von Psychologie, von der Familie zum Rat angesprochene Mönche sind zu modernisiert, um Teufelsbesessenheit behandeln zu können, die Familie Michel hat einen zu konservativen katholischen Background, um mit moderneren katholischen Geistlichen überhaupt ins Gespräch kommen zu können. Anneliese Michel, ihre Familie fühlten sich so wenig verstanden, wenig ernst genommen, flüchten in die Welt des Wunderglaubens und der Wunderheilung, glauben zu leicht der von einer Familienbekannten ins Spiel gebrachten Besessenheit Annelieses Michels und so konnte der Leidensweg zur Katastrophe führen. Anneliese Michel hatte immer Angst, in eine psychiatrische Anstalt – wie die in Lohr – zu kommen, dort weggesperrt zu werden. Schulisch bedingte Versagensängste wegen ihres Abiturs auf einem Aschaffenburger Gymnasium, Versagensängste wegen Prüfungen auf der Universität führten zu kräftigen Schüben des inneren Gefühls, besessenen zu sein, die körperliche Hülle für Dämonen zu bilden. Am Tage ihrer mündlichen Abiturprüfung vernimmt sie erstmals die grässliche, selbstzerstörerische Stimme „Du bist verdammt! Du bist verdammt! Du bist verdammt!“

Konsultierte Ärzte pfuschen herum, schnell verlieren die Ärzte das Vertrauen Anneliese Michels, der Familie Michel. Anneliese setzt eigenmächtig die verschriebenen Tabletten ab. Anneliese Michel ist allerdings nicht nur das Opfer, sie ist aus ein sehr eigenständiges Subjekt, eine Person, die suggestive Kraft auf ihr Umfeld entwickelt. Gern nimmt sie das Deutungsmuster der Teufelsbesessenheit auf, entwickelt ein katholisch religiös grundiertes Programm der Selbstopferung für die Sünden der Menschen. Anneliese Michel versucht in den exorzistischen Sitzungen selbsttherapeutische Maßnahmen der Selbstheilung. Die Exorzisten hatten dafür überhaupt kein Gespür, keine Ahnung, dass sich eine junge Frau einer der Urschreitherapie ähnlichen Selbstbehandlung unterziehen will, ihre Ängste herauslassen will, die Enge der eigenen Erziehung nachvollziehen will, die von den Ängsten des Vaters geprägt ist, die bestimmt wird durch den Lebensweg der Mutter, die ein uneheliches Kind mit in die Ehe brachte, sich lebenslanger Busse verschrieben hatte. Die vom Würzburger Bischof beauftragten Exorzisten hatten ein eigen motiviertes Interesse am Exorzismus, nun endlich der Welt zu zeigen, dass der Teufel tatsächlich in der Welt, auf der Erde schädlich wirkte, das Böse selbst repräsentierte. Tonbandaufnahmen sollte die Stimme des Teufels, der teuflischen Mächte dokumentieren und in die Welt bringen, zu neuer Bußfertigkeit der Menschheit auffordern. Den Ursachen der Leiden Anneliese Michels standen die Exorzisten völlig hilflos gegenüber und genauso wirkungslos blieben die bescheidenen Mittel der Exorzisten: Gebetsformeln, Reliquienkreuze schwenken, Weihwasser zum Einsatz bringen. Als Anneliese Michel zur Busse eine Art Hungerstreik antrat, abmagerte, sich selbst wie Jesus für die Menschheit opfern wollte, versagte bei den Exorzisten der menschliche Verstand, die menschliche Vernunft, die Notbremse zu reißen, einen Arzt zu konsultieren, Anneliese Michel in ein Krankenhaus zu bringen; sie führten ihre mit wenig Wirkungsgrad versehene Exorzistentätigkeit fort bis Anneliese Michel körperlich am Ende verstarb. Erst danach drang an die Öffentlichkeit, was sich seit über einem Jahr in Klingenberg abgespielt hatte. Eine Katastrophe, die auch durch die völlige Überfordertheit vieler beteiligter Ärzte und Priester verursacht wurde. Ein Desaster des katholischen Traditionalismus im fränkischen Raum.

 

Wichtige Links:

http://www.requiem-derfilm.de/

http://www.filmstarts.de/kritiken/Requiem.html

http://www.bpb.de/publikationen/OWFGF4,0,Requiem.html

http://www.theologe.de/theologe9.htm

http://de.wikipedia.org/wiki/Anneliese_Michel

Literatur / Hintergrundinformationen:

http://www.bpb.de/files/CZUVTZ.pdf

 

 

Das Hinterwäldlerische ausgetrieben
„ ‚Requiem’ basiert auf einem authentischen Fall von 1978, einer kirchlich genehmigten Teufelsaustreibung im mainfränkischen Miltenberg. Aber Schmid hat der Geschichte alles Hinterwäldlerische ausgetrieben, seine Darsteller sprechen keinen Dialekt, sein Tübingen sieht aus wie irgendeine westdeutsche Kleinstadt der siebziger Jahre.“
Aus: Andreas Kilb, Die Himmelfahrt der Studentin Michaela. Aus einem deutschen Leben: Hans-Christian Schmids Film „Requiem“ zeigt die Innenansicht der siebziger Jahre. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. März 2006, Nr. 53, Seite 35

Können die Exorzisten in Unterfranken wieder aktiv werden?
„Frage: Heute würde die Geschichte so nicht mehr passieren.
Antwort: Wieso nicht?
Frage: Sie meinen in Unterfranken, in der Gegend von Würzburg, Aschaffenburg, ein paar Kilometer von Frankfurt am Main, könnte heute noch ein psychiatrischer Fall zum Exorzismus führen?
Antwort: Der Fall Michel ist nur an die Öffentlichkeit gekommen, weil der Arzt, der nach ihrem Tod hinzugezogen wurde, kein Formular für den Totenschein dabeihatte und dann das Gemeindeamt anrief. Sonst hätte das niemand mitbekommen.“
Aus: Gespräch von Jakob Augstein mit Hans-Christian Schmid über dessen Film ‚Requiem’, der auf einem authentischen Fall von Teufelsaustreibung beruht. Exorzisten lauern überall. Was die Kirche erlaubt und was die Pfarrer tun, ist nicht dasselbe. In: Die Zeitberlinale, Nr. 7, Februar 2006, Sonderbeilage, Seite 30

 

 

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