TRAUM-A- LAND E.V.
BAUERNKRIEGS-LANDSCHAFT TAUBER-FRANKEN SPURENSICHERUNGSPROJEKTE UND VERÖFFENTLICHUNGEN
1848/1849 in Tauber-Franken
Der 7. März 1848 im Umpfertal Der bäuerliche Aufstand im März 1848 im Umpfertal ist Teil der bürgerlichen Revolution von 1848/49, deren 150jährige Wiederkehr in diesem Jahr gefeiert wird. Der Aufruhr gegen die leiningische Standesherrschaft scheint aus heutiger Sicht leicht verständlich zu sein. Entstand doch zusätzlich zur badischen Staatsverwaltung eine zweite Bürokratie, die als überflüssiger Restposten des abzuschaffenden Feudalsystems die Stellung hielt. Der Zorn der Bauern richtete sich deshalb besonders gegen die auferlegten zusätzlichen Abgaben, die andere Landesteile ohne Standesherrschaft nicht mehr ertragen mußten. Ebenfalls verständlich scheinen spontane Protestaktionen gegen weiter bestehende Pflichten, die an verschiedene Pfarrherren zu leisten waren. Schwieriger dagegen nach zu vollziehen ist der Part des bäuerlichen Aufruhrs, der sich u.a. in Unterschüpf gegen jüdische Händler richtete. Sind diese Plünderungen einem allgemeinen bäuerlichen Antisemitismus zuzuordnen? Fastnachtdienstag 7. März 1848 Am Mittag des 7. März 1848 stürmen aufgebrachte Bauern das leiningische Rentamt in Boxberg. Am selben Tag verüben in Unterschüpf maskierte Personen und Soldaten Ausschreitungen gegen Juden und wohl auch gegen den katholischen Pfarrer Grimmer. Über seinen liberalen evangelischen Amtskollegen Zimmermann aus Schweigern heißt es: "Die Vorgänge bei den 'Feudalstürmen' im Frühjahr 1848 fanden seine Mißbilligung, doch konnte er sie trotz persönlichen Eingreifens nicht verhindern." An diesem Tag finden also im Umpfertal gegen die Standesherrschaft, gegen Pfarrherren und gegen jüdische Geschäftsleute und Wohnungen verschiedene Aktionen statt. Gendarmen aus Königshofen formulierten in ihrem Bericht vom 8.März 1848, "zwei Wägen voll mit etwa 20 Personen, welche alle maskirt, mit Säbel und anderen Instrumenten bewaffnet, wahren eingetroffen, welche sich im Ort und in den Wirthshäusern sehr frech und grob protuzirten, so daß man nichts gutes von ihnen vermuthen konnte, weshalb man auch die beiden Soldaten ihres Arrests wieder entlassen hat, welche sich sogleich darauf mit den Maskirten entfernten." Aus einem Gedicht des Unterschüpfers G. Dietrich vom 20. März 1848 geht allerdings hervor, daß zuerst die Gruppe mit den maskierten Personen eingetroffen war, sich im Wirtshaus "Ochsen" reichlich zugetrunken hatte, Fensterscheiben jüdischer Häuser einwarf, danach in mehrere Gebäude eindrang. Geplündert im großen Maßstab wurde zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nichts. Die Unbekannten inspizierten im Schutze ihrer Masken und Anonymität vor allem Häuser, teils um den jüdischen Familien einen Schreck einzujagen, teils um auszukundschaften, was eventuell bei einer späteren Plünderung mitnehmbar war. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat es sich hierbei in der Mehrzahl um Einheimische gehandelt. Masken als Tarnungen bei Fastnachtsumtrieben oder außerhalb dieser besonderen Jahreszeit bei den "Katzenmusiken", die im Schutze der Dunkelheit ausgeübt werden, leisten die Anonymität der sie Ausübenden. Sie sind oft außerhalb des Legalen, gelten aber zumeist bei der nicht beteiligten, zuschauenden Bevölkerung als legitim. Bürger von Unterschüpf haben also Fastnachtsmasken genutzt, um unerkannt die einheimischen Judenfamilien, nach Genuß von reichlich Alkohol, zu erschrecken, in deren Wohnungen einzudringen, Scheiben einzuschlagen, Türen einzutreten. Das Gedicht nennt als Opfer die Juden "Hersch" und Fuhl. Es wird sich um Hirsch (Hersch) Oppenheimer und Raphael (Fuhl), auch genannt 'Eule', Oppenheimer, gehandelt haben. Im Gedicht von Dietrich werden einige Maskennamen genannt: "Mohr", "König", "Türke", "Baius" usw. Eventuell steckt hier mehr dahinter. Könnte es sich nicht auch um Spitznamen, Übernamen, um Verfremdungen von Namen handeln? Zudem wird im fränkisch mundartlich Gesprochenen aus "Hirsch" "Hersch"! Bei den betreffenden jüdischen Namen hat der Dichter diese Methode angewandt. Warum also nicht auch hier? Helmut Neumaier - der Autor der Boxberger Stadtchronik - fragt: "Wer verbarg sich unter der Maskierung? Könnte es sich dabei nicht auch um Übernamen wie bei den Juden gehandelt haben, wobei G. Dietrich die Identität doch bekannt war? Die Angabe, sie seien dann in Boxbergs Schlund verschwunden, muß ja nicht unbedingt heißen, daß sie von dort kamen." Das Verschwinden der Narrengruppe war für die jüdischen Bewohner Unterschüpfs erst der Beginn des einsetzenden Terrors. Das Gedicht Dietrichs spottet: "Ein neuer Schreck kommt nun an Von Schweigern kamen sie herab Diese Aktion zweier Soldaten, aus Schweigern kommend, eventuell durch in Schweigern eingetroffene Gerüchte und Nachrichten über den Vorfall mit den Maskierten animiert, war eine einzelne, nicht mit den anderen koordinierte. Die Beiden fühlten sich - ziemlich alkoholisiert - stark genug, um von den jüdischen Einwohnern Schutzgeld, "Reisgeld", abzupressen. Zumindest einer der beiden Soldaten, nämlich Niklaus Paul, stammte aus Schweigern. Daraufhin flüchteten die jüdischen Einwohner ins nahe „Ausland”, zu Recht befürchtend, daß dies erst der Anfang von noch Schlimmeren sein könnte: zum Teil nach Mergentheim (Kgr. Württemberg), zum anderen nach Würzburg (Kgr. Bayern). Es gelang ihnen noch, ihre Häuser zu verriegeln, Fensterläden zu schließen. Aus Würzburg richtete der geflüchtete Siegfried Dreifuß am nächsten Tag ein Schreiben an das badische Ministerium des Inneren. Er schildert die schwierige Lage der Geflüchteten, "daß wir alle in Schipf vorderhand nicht mehr als das nackte Leben und etwas Papier retten konnten, alle Möbel alle Habseligkeiten luden sie auf Wägen und was sie nicht verbrannten zertrümmerten sie." Nach Mitternacht trifft ein großer Haufen Bauern und Handwerker aus Boxberg in Schüpf ein. Fünf Häuser der Juden werden gestürmt. In das gemmingensche Rentamt wird ebenfalls eingedrungen, Akten und Bücher werden vernichtet, die Gemeinderegistratur zerrissen. Die Unterschüpfer Chronik berichtet, es "zogen anschließend einige hundert Mann der Aufständischen, mit Theodor Feller aus Boxberg an deren Spitze, unter Trommelwirbel - vielleicht auch dies als Erinnerung an die hiesigen Geschehnisse im Bauernkrieg - gen Unterschüpf, gab es doch hier ebenfalls besondere herrschaftliche Besitzverhältnisse, zudem mehrere Judenfamilien, denen man von auswärtiger Sicht ebenfalls ein gerüttelt Maß Schuld an den Verhältnissen zubilligte. Als der Haufen von Schweigern herunter gekommen war - zuvor hatten Unbekannte schon kleinere Ausschreitungen gegen Juden begangen - wurden fünf von Juden bewohnte Häuser geplündert und im Rathaus die Akten abgenötigt und verbrannt ..." Der Bericht der Gendarmeriestation in Königshofen verdeutlicht, daß nicht nur Auswärtige (also Boxberger, Wölchinger, Schwabhäuser, Bobstädter, Schweigerner usw.) sich an den nun folgenden Zerstörungen und Plünderungen beteiligten, vielmehr auch Unterschüpfer Bürger selbst versuchten, sich zu bevorteilen und zu bereichern, denn "... im Orte Unterschüpf stellten sie sich auf dem Marktplatze zusammen mit wiederholtem Jubel: 'es lebe die Freiheit'. In diesem Augenblicke schließen sich auch Orts-Einwohner diesem Complot an. Es wahren so bereits 200 Personen. Auf einmal fuhren sie auf die Judenhäuser zu, raubten, und demolirten alles, was sie fanden, und von da zogen sie in die Behausung des Fürstlich Leiningischen Rentbeamten, und verlangten alle Schriften, welche ihnen auch gegeben wurden, diese wurden durch Verbrennen außerhalb des Orts vernichtet. Es wurden 6 Judenhäuser ganz ausgeraubt." Die Angabe, daß die "Behausung des leiningischen Rentbeamten" gestürmt wurde liegt einer Verwechslung zugrunde. Es handelte sich vielmehr um das Wohnbüro der "Gemmingenschen" Grundherrschaft. Schnell verbreiten sich in der ganzen Umgebung von Unterschüpf und Boxberg die Nachricht von der Ausschreitung gegen die jüdischen Familien in Unterschüpf: Levis Strauss, aus einer in Tauberbischofsheim und Dittigheim lange ansässigen jüdischen Familie stammend, gedenkt in seinen Jugenderinnerungen an diese Tage: "Aus dem Jahre 1848 erinnere ich mich noch der Tage, als die Nachricht von dem Ausbruche der Februarrevolution in Paris eintraf und wie, wie im Sturmwind, ein Freiheitsdrang durch ganz Deutschland dahin brauste, und die Kämpfe der Märztage auch in Deutschland im Gefolge hatte. Dabei traf am Aschermittwoch 1848 nachmittags die Kunde ein, die der Jakob Frank überbrachte, daß in der vorhergegangenen Nacht am Fastnachtdienstag die Juden von Unterschüpf vertrieben und ihrer Habe beraubt, und ihre Häuser demoliert wurden. Es waren nämlich die Schüpfer Juden als arge Wucherer bekannt, besonders waren es Hirsch Oppenheimer (Schwiegervater von Apfel in Sinsheim), Raphael genannt 'Eule' Oppenheimer, Bruder von Hirsch, und Dreifuß (Schwiegervater von Jonas Igersheimer in Mergentheim), deren Häuser demoliert wurden. Gleichzeitig verbreitete sich das Gerücht, daß diese Schüpfer Banden in den nächsten Nächten in den Taubergrund ziehen und ihr Zerstörungswerk an den Juden und an den Standesherren (Leiningen) fortsetzen würden." Einen deutlichen Hinweis gibt Levis Strauss mit dem direkten Einwurf, daß die "Schüpfer Juden als arge Wucherer", besonders "Hirsch Oppenheimer", bekannt waren. In den wenigen Unterschüpfer Quellen und Akten über diese Zeit schlägt sich die Finanzierungstätigkeit jüdischer Einwohner nicht nieder wie Rolf Rüdiger und Alois Burger in ihrer Unterschüpfer Chronik die Vorkommnisse beurteilen: "Unterschüpfer Juden tauchen als Geldverleiher - mit Ausnahme eines Juden Oppenheimer - in den Urkunden nicht auf. Das will natürlich zunächst nicht heißen, daá diese Familien keine Geldgeschäfte getätigt haben, jedenfalls sind sie aber in Unterschüpf nicht in dieser dominierenden Weise aufgetreten wie an manch anderem Ort. Dies mag sicherlich an der früheren sozialen Struktur dieses insgesamt recht wohlhabenden Ortes gelegen haben, die immer durch eine Reihe bäuerlicher wie gewerbetreibender begüterter Familien mitgeprägt war. Um also in Unterschüpf Geld aufzunehmen, dazu bedurfte es hier gewiß keiner jüdischer Geschäftsleute. In diesem Zusammenhang war wohl der Wohlstand der Juden nicht in dem Maße ausgeprägt, daß sich größere Spannungen ergeben hätten, weil er etwa einer verarmten übrigen Bevölkerung ein Dorn im Auge gewesen war. Wohl aber wird im Zusammenhang mit den Ausschreitungen im Jahr 1848 von einer reichlichen und wohlhabenden Ausstattung in den Judenhäusern berichtet ... Bekannt sind die gefüllten Weinkeller der örtlichen Juden ..." Diese Angaben tragen etwas vom Charakter der historischen Beschwichtigung und sind wohl als ein - oft anzufindender - Versuch, die Einheimischen zu schonen, zu verstehen. Es wäre ein typischer Schutzreflex der Lokalchronikschreibung. Die "Vergantung" von Bauern, von Tagelöhnern war um 1848 enorm fortgeschritten. Der ehemals dominierende Weinanbau seit über fünfzig Jahren im Niedergang begriffen, die Verzinsung der Ablösungen brachte schnell enorme Verschuldungen, dazu kamem schon seit einigen Jahren Ernteausfälle bei Getreide und Kartoffeln. Das gezeichnete Bild eines wohlhabenden Unterschüpfes ist sicherlich ein schiefes. Es kann angenommen werden, daß auch Unterschüpfer Bürger, Kredite bei Juden aufgenommen haben. Und sie haben sich an den Krawallen beteiligt: als maskierte Faschingsgruppe und in der Vereinigung mit dem nach Mitternacht aus Boxberg über Schweigern anmarschierenden Bürger- und Bauernhaufen. Sechs der zehn Angeklagten kamen aus Unterschüpf (Vgl. Stefan J. Dietrich, Gegen eine Minderheit.”Freiheit, Gleichheit soll leben; die Juden müssen sterben.” In: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, “Heute ist Freiheit!” Bauernkrieg im Odenwald 1848, Stuttgart 1998, Seite 80, siehe dazu auch: Generallandesarchiv Karlsruhe 252, Nr. 8, fol. 312) Den Unterschüpfer Juden wurde auch mit dem Tod gedroht, die Maskierten vollzogen die Gebärden des Halsabschneidens und auch das Gedicht des Unterschüpfer Einwohners G. Dietrich vom 20. März benennt das Kopfabschneiden bzw. die Absicht, einen Kopf zu spalten. Inwieweit dies auch konkret durchgeführt worden wäre, ist unklar. Bei diesen brutalen Drohungen spielen religiöse Gründe eine große Rolle, die sich ja auch in vielfachen Alltagsaggressionen gegen Juden widerspiegelten. Zudem ist zu bedenken: Es läßt sich auch kaum ein direkter Zusammenhang in der Unterschüpfer Ausschreitung herstellen zwischen Gläubigern und Schuldnern. Ein Unterschüpfer jüdischer Viehhändler legte eine Liste der ihm abhanden gekommenen Schuldscheine vor. Von den zehn Angeklagten gehörte keiner zu seinen Schuldnern. Vielleicht ist dies Zufall, daß die Schuldner in der Masse möglicherweise anwesend, aber dennoch nicht genau benannt werden konnten. Vielleicht wurden die Juden auch synonym für ihre "Wuchertätigkeit" überfallen. Der in Mergentheim wohnende Eduard Mörike schreibt in einem Brief über die Unterschüpfer Vorfälle: "Seit Mittwoch mittag hat die Nachricht, daß ein wilder Haufen von ungefähr 800 Köpfen aus dem Badischen, dem Odenwald, im Anzug auf Mergentheim begriffen sei, hier große Furcht verbreitet. Sie haben die Kanzlei des Rentamts in Schüpf überfallen, die Urkunden zerstört, die dortigen Juden beraubt und mißhandelt, einen Bauernhof, den fürstlichen Pachthof Marienhöhe mit Schonung der Bewohner verbrannt, auch in Boxberg übel gehaust, die Fruchtspeicher geleert, wozu der Oberamtmann ihnen mit eigener Hand leuchten müssen." Weitere Gerüchte über einen Anmarsch der Boxberg-Unterschüpfer verbreiteten sich in Lauda, Dittigheim, Wertheim, Krautheim und Tauberbischofsheim, wo der dortige Bürgerverein in einem Flugblatt zum Schutze der jüdischen Bewohner und Häuser aufruft:"Unsere Pflicht ist jedes Eigenthum zu schützen; es sind keine Beamten mehr eines abgesonderten Staats im Staat; es sind bereits Bürger-Beamte, unsere Freunde, Freunde des Volks. Unsere Pflicht ist, unsere Mitbürger, die Juden zu schützen; stoßen wir sie nicht zurück, reichen wir ihnen vielmehr die Hand, wie es einem deutschen Manne, einem Christen geziemt; der edle deutsche Mann, der echte Christ, kennt keine Verachtung, keine Verfolgung. Die Versuchung ist süß, das Süße aber ist trügerisches Gift. Es leben die verfassungsmäßigen Gesetze! Es lebe die Ordnung! Es lebe die Einigkeit der ganzen deutschen Bevölkerung!" Waren die Unruhen in den badischen Standes- und Grundherrschaften im Jahre 1848 an Umpfer, Tauber und Main rein agrarische, vom bürgerlichen Liberalismus kaum tangiert und deshalb mit so starken anti-jüdischen Impulsen durchsetzt? Oder kam nicht etwa das Bürgertum auf dem Lande zu spät, war dem Aufstand der Bauern zu ungleichzeitig hinterher? Für das Bürgertum zieht die Vorstellung des bürgerlichen und modernen Eigentums heran, welches die Aura eines unverletzlichen hat. Der feudale Eigentumsbegriff mit seinen Rechten auf Zehnten, Gülten hat dem Bürgertum somit zwar ein Fremdes, Aufzuhebendes, doch in der Vorstellung von Eigentum auch ein sehr Eigenes, Verwandtes. Insofern können sich Teile des Bürgertums mit den Gesetzen der Ablösungsbestimmungen, in der langjährigen Verzinsung zugunsten des Adels, anfreunden, indem faktisch das "feudale" Eigentum den Schein von "bürgerlichem" Eigentum erhält. Die Bauern wiederum können über ihr Eigentum nur verfügen, indem sie mit den sie aufs neue fesselnden Schuldenlasten der Verzinsung des Ablösekapitals leben müssen. Das Zusammenleben von Juden und Christen Wie ist das Zusammenleben von christlichen und jüdischen Tauberfranken im 19. und 20. Jahrhundert vorstellbar? Zahlreiche Zeugnisse geben widersprüchliche Kunde vom Verhältnis christlicher und jüdischer Bevölkerung, von der Beziehung von Häckern und Bauern zu Händlern und Kaufleuten im Tauberfränkischen. Der Hofkommissionör Freiherr Max von Lerchenfeld berichtet über den württembergischen Teil des weinbauenden Taubertales: "Nirgends sind die Ausstände an den landesherrlichen Abgaben zahlreicher, der Verkehr mit den Juden ausgebreiteter als eben da. Nirgends gibt es mehr Streithändel, boshafte Beschädigungen des Eigentums und Äußerungen von Denunziationssucht." Der Freiherr schließt aus der stark wankenden Ertragssituation der Häcker auf eine gewisse Unstetigkeit in deren Lebensführung, auf verbreitete Armut bei ihnen sowie auf einen großen Bedarf der Häcker an Kreditleihe bei jüdischen Geschäftsleuten. Sein Zitat verweist auch darauf, daß die Häcker ihre ohnmächtige Wut über eine oft hoffnungslose wirtschaftliche Lage mit Zerstörung fremden Eigentums abreagierten. Der aus Gissigheim stammende Schriftsteller und in seinen letzten Lebensjahrzehnten verbittert boshafte Antisemit Wilhelm Weigand macht aus seiner Einstellung in einer Autobiographie keinen Hehl: "Ich selbst war schon in meiner Jugend auf die Auswirkung jüdischen Wuchergeistes aufmerksam geworden: in meiner Heimat, im Tauberland, gab es zahlreiche Gemeinden, die jüdischen Wucherern hörig waren." Weigand gibt also unverblümt einseitig den Juden die Schuld an wirtschaftlichen Mißlagen, die als "Auswirkung jüdischen Wuchergeistes" festgemacht werden. Die zahlreichen Fehlernten, die Provinzialisierung Tauber-Frankens nach 1800, die Verluste Jahrhunderte alter Marktbeziehungen, der drastische Niedergang des Weinanbaus usw. werden dagegen nicht als konkrete Ursachen benannt. Theodor Pistorius zeichnet dagegen ein anderes Bild. Hieraus wird das Verhältnis deutlicher: "Franken ist die zweite Heimat der Juden. Der jüdische Akzent ist nichts anderes als ein Nachklang des fränkischen Dialekts. Nicht mit Abneigung wie der schwäbische Bauer, sondern mit Vorliebe, jedenfalls mit Behagen macht der fränkische Landmann mit dem jüdischen Viehhändler Geschäfte; er fühlt sich ihm gewachsen, und zahllose Hänseleien muß der letztere über sich ergehen lassen, was er übrigens gerne tut, denn der fränkische Bauer und der jüdische Händler stehen gut miteinander." Das ist die Beschreibung einer gegenseitigen Toleranz und eines wirtschaftlichen Aufeinanderangewiesenseins, das humorvolle Sprüche über das Andere des Partners aushält bzw. erträgt. Sicher wäre das Verhältnis jüdischer und christlicher Bevölkerung nach den gesellschaftlichen Gruppen und Schichten viel genauer zu spezifizieren als es hier möglich sein kann, um unterschiedliche und gegenteilige Einstellungen gerade im christlichen Teil der Bevölkerung herauszuarbeiten. Dabei wäre zu klären, von welchen Gruppen und Personen Ausschreitungen ausgingen, wer dabei Führungspositionen einnahm. Es ist aber festzuhalten, daß in der ländlich-bäuerlichen Welt Tauber-Frankens des 19. Jahrhunderts kein besonders extremer Antisemitismus zu beobachten war. Andere Berufsgruppen und Personen z. B. Handwerker, verschuldeter Mittelstand, waren hier wohl schon viel empfänglicher und Gewalt bereiter. Die bäuerlichen Ausschreitungen betrafen das übrig gebliebene feudale Geflecht einer zusätzlichen Abgabenpflicht, waren ein deutliches Protestzeichen wegen der eingetretenen Verschuldung infolge der aufgenommenen Ablösungskredite. Insofern richten sich Plünderungen und Zerstörungen gegen die leiningischen Rentämter und manche verhaßte Beamte, gegen christliche zehntberechtigte Pfarrherren und gegen jüdische Geschäftsleute und Händler. Das widerspricht der vorschnellen Diagnose, daß allein Antisemitismus Grundlage der Zerstörungen gewesen sein kann. Dazu sind die Zerstörungsziele zu heterogen. Gerd Roellecke stellt über den Aufstand der Odenwälder Bauern fest, der sich zeitgleich ebenfalls gegen Pfarrer, Juden und Standesherren richtete: "Die Bauern empörten sich gegen die feudale Ordnung. Für sie gehörten dazu auch die Juden." Diese hatten im Feudalsystem aus bzw. trotz den ihnen auferlegten Beschränkungen als Geldverleiher und Händler eine starke sozialökonomische Position erlangt. Die voran schreitende Aufhebung des feudalen Systems führte bei den Bauern zu einer sozialen und wirtschaftlichen Verelendung, da sie sich stark verschulden mußten. Die Geldleihe wurde meist über jüdische Geschäftsleute getätigt. Sparkassen gab es in dieser ländlichen Gegend noch keine. Die Bauern nahmen in dieser Situation die Juden als Begünstigte wahr. Roellecke schreibt weiter: "Sie durften die Juden daher für ein Symbol der feudalen Ordnung und in einem doppelten Sinne für privilegiert halten, einmal formal als Fürstengünstlinge und zum anderen inhaltlich als Leute, die daraus auch noch dauerhaft Kapital geschlagen hatten." Insofern sind die Plünderungen jüdischer Häuser mehr als ein Teil des bäuerlichen Aufstandes gegen die verbliebenen Reste des Feudalismus einzuordnen und weniger Ausdruck eines bei den Bauern besonders ausgebildeten Antisemitismuses. Jürgen Wohlfarth
Zu den antijüdischen Krawallen 1848 in Unterschüpf siehe auch: Unterschüpf 1848
© Traum-a-land Copyright: Alle unsere Webseiten können kostenfrei gelesen und ausgedruckt werden. Ausgedruckte Textteile können in der üblichen Form unter Angabe der Quelle frei zitiert werden. Alle erfolgten Ausdrucke unterliegen dem Schutz des Urheberrechtes. Ihre Vervielfältigung und Weiterbearbeitung bedarf der schriftlichen Zustimmung.
|